Die Grundlage des gelingenden Miteinanders der Menschen ist das Gespräch. Einen Dialog entstehen, entfalten, auferstehen zu lassen, ist durch den Wunsch motiviert, den anderen zu verstehen, im zuzuhören, ja ihm aktiv zuzuhören, diesen Prozess also offensiv unterstützt: „Ja, ich möchte dich verstehen. Ich werde alles dafür tun, das, was du sagst, so zu verstehen, wie du es mir eigentlich mitteilen möchtest. Erst wenn ich ganz sicher sein kann, dich verstanden zu haben, weiß ich: Ich bin in einem guten Dialog mit dir.” In dem Buch Traumgespräche – geht es um diese Frage: Wie können wir miteinander ins Gespräch kommen. Dabei hat sich gezeigt, dass das Medium Traum viele Vorteile hat. Denn die Traumgeschichten sind anders als die Alltagserfahrungen und es macht Spaß in deren Tiefe und Komplexität einzusteigen. Gute Dialoge darüber, führen immer zu guten Lösungen für aktuelle Probleme. Hier ein Beispiel für einen gelungenen Dialog aus dem Buch Traumgespräche:
Unter dem Tisch – Anton (11) träumt:Ich saß unter dem Tisch und ihr seid alle um den Tisch rumgesessen.
Anton wirkt auf Aussenstehende selbstbewusst. Mitschüler nennen ihn sogar den „Obercoolen“, was durchaus nicht nur schmeichelhaft gemeint ist. Anton hat auch eine introvertierte Seite: Besonders zu Hause zieht er sich gerne zurück in sein Zimmer, liest viel und lässt mit Vorliebe die „Seele baumeln“. Sein Tages- und Wochenablauf ist stark von der Schule und von sportlichen Freizeitaktivitäten strukturiert. Anton würde gerne mehr über seine freie Zeit bestimmen. Doch seine Mama glaubt, dass Anton noch lernen muss, sich an soziale Spielregeln zu halten, denn in der Schule eckt er häufiger bei Mitschülern an und auch mit Lehrern gibt es Konflikte. Antons Mutter ist überzeugt, dass Kinder in Antons Alter soziale Fähigkeiten am besten in organisierten Sport- und Freizeitgruppen lernen. Wie seine beiden älteren Schwestern ist Anton daher beim Leichtathletik und bei den Pfadfindern aktiv.
Was geschah am Tag vor dem Traum? Anton und seine Mutterhatten sich gestritten. Der Grund: Anton wurde von seiner Mutter ermahnt, mehr für die Schule zu arbeiten. Da Anton gerade ein spannendes Buch zur Hand hatte, ließ er sich nur widerwillig darauf ein. Die Mutter warf Anton vor, es sich mit der Schule zu einfach zu machen, zumal die Anforderungen gestiegen seien und Anton bessere Leistungen zeigen könne, wenn er nur wolle.
Anton spricht mit seinem Vater Jakob über den Traum:
Jakob: Was hast du denn unter dem Tisch gemacht? (Verhalten erfragen)
Anton: Nichts Besonderes, ich saß da einfach.
Jakob: Wer saß da genau um den Tisch herum? (Details erfragen)
Anton: Na wir, Du, Mama, Sophie und Marie (die beiden älteren Schwestern)
Jakob: Und was haben wir gemacht? (Details erfragen)
Anton: Ihr habt was gegessen und geredet.
Jakob: Und du hast nicht mitgegessen?
Anton: Nein.
Jakob: Wie gings dir denn da unter dem Tisch – so allein? (Gefühle erfragen)
Anton: Weiß nicht – war ganz normal.
Jakob: Du hast es also gar nicht ungewöhnlich empfunden da zu sitzen? (Spiegeln) Wie wäre denn das, wenn du dich beim nächsten Abendessen wirklich mal unter den Tisch setzen würdest? (Gedankenexperiment)
Anton: Wieso das denn – nein, das will
ich nicht (entrüstet).
Jakob: … und im Traum hat sich niemand
daran gestört und du dich auch nicht?
(Gefühle erfragen)
Anton: Nein, ihr habt was für euch gemacht und ich für mich.
Jakob: Du stehst ja wirklich gerne früher vom Tisch auf und gehst in dein Zimmer. Hat das bestimmte Gründe? (Brücken ins Wachleben)
Anton: Oft nervt es mich, wenn alle durcheinander reden. Ich will dann meine Ruhe haben.
Jakob: Es stört dich also, dass du nicht zu Wort kommst? (Spiegeln) Und Mama, was hätte sie denn dazu gesagt, wenn sie dich unter dem Tisch hätte sitzen sehen? (Stellvertretend für die Traumfigur antworten lassen)
Anton: Vielleicht hätte sie gesagt: „Ach der Anton macht mal wieder sein eigenes Ding – immerzu muss man nach ihm sehen.“
So denkt Antons Vater über den Traum: Anton braucht ab und zu seine Ruhe – das verstehe ich gut. Wenn es einem zu viel wird, muss man sich mal zurückziehen dürfen. Wir sind wirklich ein laut quasselnder wilder Haufen. Aber das Experiment mit dem Tisch würde ich wirklich gerne mal ausprobieren. Bin gespannt was die Mädels dazu sagen. Vielleicht erfahren wir dann mehr über unsere Beziehungen in der Familie. Das könnte spannend werden.
Vergleich von Wachleben und Traum:Anton nutzt im Wachleben jede Gelegenheit, um sich von den anderen in der Familie und deren Aktivitäten zu distanzieren, ganz ähnlich wie im Traum. Die übrigen Familienmitglieder sind mit sich beschäftigt, unterhalten sich und ignorieren ihn weitgehend. Traum und Wachleben stimmen in diesem Punkt dennoch nicht ganz überein. Zwar hat jeder in der Familie viel zu tun und geht eigenen Interessen nach, doch die Mutter nimmt sich bewusst Zeit für ihren Sohn. Sie lernt mit ihm für die Schule und motiviert ihn darüber hinaus auch seine Freizeit gut zu strukturieren. Sie hat also ein großes Interesse daran, dass Anton sich gut entwickelt und Fortschritte macht. Nehmen wir die Gefühle genauer in den Blick, die Anton im Traumgespräch anspricht. Er empfindet es im Traum als ganz „normal“, allein unter dem Tisch zu sitzen. Es scheint für ihn nichts Besonderes zu sein, dass Gespräche „über seinen Kopf hinweg“ stattfinden. Er scheint sich an diesen Zustand gewöhnt zu haben und ist mit seiner Position unter dem Tisch auch nicht unglücklich. Erst als Jakob genauer nachfragt, warum Anton auch im Wachleben häufiger früher vom Tisch aufsteht, benennt Anton klar, welche Bedürfnisse hinter dieser Entscheidung stehen: Er fühlt sich oft mit seinen Gesprächsbeiträgen bei Tisch missachtet. Er wünscht sich, dass man sich dafür interessiert, was er zu sagen hat.
Weitere Perspektiven: Betrachten wir die Ereignisse näher, die sich vor Antons Traum abgespielt haben, so können wir kritisch fragen, ob sich Antons Traum „nur“ auf die
Gesprächsatmosphäre beim Essen bezieht. Anton hatte sich am Vortag mit seiner Mutter gestritten. Dabei wurde ein Konflikt belebt, der die Beziehung zwischen den beiden schon länger belastet. Die Mutter wünscht sich, dass Anton sich in der Schule und im Sport aktiver zeigt. Anton möchte damit in Ruhe gelassen werden. Schauen wir, ob sich für diese Perspektive Anhaltspunkte im weiteren Gespräch zwischen Anton und seinem Vater finden lassen:
Jakob: Du wünschst dir also, dass wir deine Interessen stärker respektieren? (Spiegeln – Bedürfnisse benennen)
Anton: Ja – aber das ist doch gar nicht so wichtig für euch.(enttäuscht) Ich finde, die Mama und du – ihr wollt nur wissen was die Sophie und die Marie machen. Sie sind halt beide ein Ass im Leichtathletik und in der Schule sowieso die Königinnen – da kann ich nicht mithalten.
Jakob: Du meinst, dass du uns nur wichtig bist, wenn du glanzvolle Leistungen im Sport und in der Schule zeigst? (Spiegeln)
Anton: Ist doch so. (hat Tränen in den Augen) Man wird ja hier nur beachtet, wenn man aktiv ist. Ist ja nicht nur im Sport so – auch in der Schule. Die Mama rennt mir jeden Tag hinterher – „mach dies – mach das“ – nie ist es genug.
Jakob: Und da verkriechst du dich dann gerne mal, um wenigstens ab und zu für dich zu sein. (Spiegeln – Wünsche benennen)
Anton: Ja – man kümmert sich ja sowieso nur um mich, wenn ich wieder was für die Schule machen soll.
Wozu Anton seine Eltern auffordert: Anton appelliert mit seinem Traum an die Eltern, endlich zu sehen, dass es ihm in seiner Familie nicht gut geht. Seine Lage könnte er etwa so beschreiben: „Ich muss mir hier ein Ruheversteck suchen, um ungestört zu sein. Ich möchte nicht immer um Anerkennung und Zuwendung kämpfen – das ist anstrengend. Und mit dem was ich euch anbieten kann, gewinnt man sowieso nichts. Aber keine Sorge – mir geht es in meinem Ruheversteck ganz gut – ich bin da nämlich trotzdem in eurer Nähe. Das ist mir sehr wichtig, denn ich liebe euch. Manchmal bin ich mir unsicher, ob ihr mich genau so liebt. Ich wünschte mir, ihr würdet mich genau so wichtig nehmen, wie die anderen, hier in dieser Familie. Dann könntet ihr besser sehen, wie und wer ich wirklich bin.“
Der Nutzen des Traumgesprächs für die Eltern: Jakob konnte Anton tatsächlich noch dazu gewinnen, das Traumstück in der eigenen Küche aufzuführen. Dabei übernahm jeder die Rolle, die er in Antons Traum inne hatte. Vater, Mutter und die Schwestern saßen um den Tisch herum, während Jakob unter dem Tisch kauerte. Jetzt konnte jeder sagen, wie er diese Situation empfand. Sophies Eindruck: „Man bemerkt ja gar nicht, dass Anton fehlt. Sagt ja sonst auch fast nie was.“ Und Vater: „Ich vermisse Anton schon ziemlich. Wenn er hier oben sitzen würde, hätte ich männliche Verstärkung. Täte uns beiden sicher gut.“ Daraus entwickelt sich eine intensive Diskussion, die allen alsbald klar macht: Dass Anton darunter leidet, nicht gesehen zu werden. Die Eltern und Schwestern lassen ihn bei Tisch nicht ausreden und die Mutter behandelt ihren 11-Jährigen immer noch wie ein kleines Kind – so hat es Jakob formuliert. Sie verordnet ihm zum Beispiel ein Lern- und Freizeitprogramm nach ihren eigenen Maßstäben. Dagegen lehnt sich Anton meist nicht offen mit Argumenten auf, sondern reagiert mit Rückzug. Als Resultat dieser intensiv geführten Gespräche, stellten sie Anton frei, welcher Freizeitbeschäftigung er nachgehen will. Anton entschied sich dafür, Schach spielen zu lernen und eine Zeitlang auf sein Leichtathletik-Training zu verzichten. Für den Nachmittag wurden mit Anton feste Lernzeiten vereinbart. Werden diese eingehalten, hat Anton für den Rest des Tages frei. Durch das Traumgespräch gelingt es den Eltern das Bedürfnis, das sich hinter dem Wunsch verbirgt „für sich sein zu wollen“ klar benennen zu können: Anton möchte als Person mit eigenen Interessen und Wünschen erkannt werden und nicht ständig mit seinen Schwestern und den elterlichen Idealen konkurrieren. Das half vor allem der Mutter, gelassener und positiver auf ihren Sohn zuzugehen und ihn in seiner ruhig-gelassenen Art wertzuschätzen.
Traumgespräche: Was Träume über das Seelenleben Ihres Kindes verraten