Im Horrorfilm „die Frau in Schwarz“ spielt neben Daniel Radcliff als junger Anwalt Arthur Kipps, Liz White die „Frau in Schwarz“. Sie ist zwar selten und wenn dann nur vage im Film zu sehen, doch ist ihre bedrohliche und ängstigende Ausstrahlung stets präsent. Sie ist die eigentliche Heldin dieses Filmes und psychologisch hochinteressant, denn Sie erinnert uns daran, was passieren kann wenn Menschen ausgegrenzt werden, von ihren Kindern getrennt werden.
Liz White spielt Jennet Humfrye, einen hasserfüllten Geist, die durch ihr bloßes, spukhaftes Erscheinen, Kinder dazu verleitet, sich selbst zu töten. Als Lebende erhängte sie sich selbst. Weshalb? Alice, ihre Schwester hat sie entmündigen lassen und Jennets Sohn Nathaniel adoptiert, wobei sie jeden weiteren Kontakt zwischen Mutter und Sohn im Folgenden unterband. Zu allem Elend starb der Junge auch noch bei einem Unfall in den Marschen, bei dem die kinderlosen Stiefeltern überlebten. Seine Leiche wurde nicht gefunden. Um den Tod ihres Sohnes, für den sie ihre Schwester und deren Mann verantwortlich machte, zu rächen, lockt die „Frau in Schwarz“ die Kinder im Dorf ins Verderben und deren Eltern ins Unglück. Immer wenn sie einem Menschen im Dorf erscheint, führt dies unweigerlich dazu, dass Kinder aus den Fenstern oberer Stockwerke fallen, sich vergiften, sich verbrennen oder im Meer ertrinken.
Die „Frau in Schwarz“ ist eine Traumfrau, in vielfacher Hinsicht. Sie wirkt anziehend wie traumatisierend. In ihrem Auftreten mischt sich Attraktion, Leid und Depression mit unerbittlicher dämonischer Entschlossenheit. Jenseits aller moralischen Kategorien verkörpert sie den Wahnsinn. Arthur Kipps der sich eigentlich zur Aufgabe gemacht hatte, den Nachlass der kürzlich verstorbenen Schwester im verlassenen „Eel Marsh House“ zu verwalten, ist konfrontiert mit dem gespenstischen Treiben einer aschfahlen Dämonin im Trauergewand, die ihn im Laufe seiner Recherchen in ihr grausiges Mysterium einweiht. Als Held gelingt es ihm, sich seinen Ängsten zu stellen und konfrontiert sich mit allem, was die Frau in Schwarz „uns“ dem Zuschauer und ihm zu bieten hat. Am Ende hofft er, den tödlichen Spuk aufzulösen, indem er den unverwesten Körper von Nathaniel aus den Marschen zieht und ihn in die Arme seiner toten Mutter ins Grab legt. Doch auch dadurch lässt sich die Hasserfüllte weder versöhnen noch besänftigen. Ihr Hass bleibt lebendig. So kommt es, dass sie Joseph, den Sohn von Arthur Kipps auf die Gleise eines vorbeifahrenden Zuges lockt. Kipps, der hinterherspringt, um seinen Sohn zu retten, wird somit auch ein Opfer des grenzenlosen Zornes der „Frau in Schwarz“.
Die „Frau in Schwarz“ können wir in der Sprache der Tiefenpsychologie als die Personifizierung des Schattens eines Menschen verstehen. Als Schatten begreifen wir jene Seiten unserer Persönlichkeit, die wir gerne verstecken, verleugnen oder die uns gar nicht erst bewusst werden, wir aber trotzdem mit uns herumschleppen. Es sind jene Aspekte unseres Charakters, die wir aufgrund kultureller, familiärer oder gesellschaftlicher Konventionen nicht zum Ausdruck bringen dürfen.
Die unerwünschten Regungen verschwinden aber nicht einfach durch diese auferlegte ignorante Haltung, sondern bleiben im Untergrund aktiv und gefährlich. Sie führen als abgespaltene oder dissoziierte Persönlichkeitseigenschaften in quälenden Alpträumen ihr Unwesen. Schattenseiten werden in Träumen oftmals von dämonischen Wesen oder Tieren verkörpert. Immer aber, werden sie auf andere Menschen projiziert. Die anderen sind es dann, die neidisch, egoistisch, geizig, hasserfüllt, aggressiv oder animalisch handeln. Filme, Theaterstücke, Romane, Märchen und Träume greifen in verschiedener Form diese abgespaltenen und unerwünschten Impulse auf und geben ihnen eine Bühne. In unserem Film wird von ein und derselben Person aus zwei Perspektiven erzählt. Unterschieden wird die lebende depressive Frau, die sich erhängt und die rachsüchtige und bösartige „Frau in Schwarz“, die tötet. Die Wut und Aggression unserer Protagonistin geistert als düsterer Racheengel durch die alte Ortschaft. Jennet Humfrye gelingt es erst nach ihrem Tode, ihre Wut zu adressieren. Als Geist – als „Frau in Schwarz“, muss sie sich nicht mehr vor den Bösartigkeiten Anderer fürchten. Sie kann ganz offen Ihre Rache ausleben.
Der Film ist ein schönes Beispiel dafür, wie nahe sich Aggression und Depression sind. Die Depression ist nach psychoanalytischer Auffassung eine autoaggressive Erkrankung, die im schlimmsten Falle im Suizid endet. Vielleicht kommt es gerade deswegen zu so vielen depressiven Erkrankungen, weil diese gesellschaftlich stärker toleriert werden als gelebte Aggression. Aus guten Gründen ist es verboten seine Wut auf andere Menschen in vollem Umfang auszuleben. Damit aber aggressive Impulse nicht einfach in uns „herumgeistern“ und in selbstzerstörerischem Verhalten (Rauchen, Alkohol, Anorexie, Ritzen, psychosomatische Erkrankungen) oder blindem Wüten gegenüber anderen ausartet, ist es wichtig, sich dieser gefährlichen Impulse bewusst zu werden. Da in unseren Träumen die emotionale Seite unseres Wesens deutlicher ins Rampenlicht tritt und weniger die kontrollierte, rationale Seite, lohnt es sich, hier genauer hinzuschauen, um dem Schatten zu entlarven.
Der Film ist im weiten Sinne auch ein Sozialdrama – letztendlich geht es um die Liebe der Eltern zu ihren Kindern. Eine Liebe, die im Wahnsinn enden kann, wenn Sie nicht gelebt werden darf oder wenn die Angst droht, das Kind zu verlieren. Fiktion? Leider erbarmungslose Realität in unserer angeblich modernen Gesellschaft. Alleine in Deutschland sind zwei Millionen (!) Männer ohne Sorgerecht und zu hunderttausenden von ihren Kindern getrennt. Es ist für viele Männer, Frauen und Kinder ein Alptraum, aus dem es kein Erwachen gibt. Auch wenn der Film als reiner Horrorfilm verstanden werden will und als solcher verkauft wird, die Motivation für das gruselige Desaster ist, die „nicht gelebte Liebe und Fürsorge zum eigenen Kind”. Der Film beschreibt was geschehen kann, wenn Männern und Frauen die Vater- bzw. Mutterschaft abgesprochen wird, wenn ein Mensch als Vater oder Mutter entmündigt wird. Wir kennen dies aus den zahlreichen scheinbar irrationalen Handlungen von Menschen, die im familiären Sorgerechtskrieg Opfer privater, staatlicher und feministischer Willkür wurden. Es scheint, als gäbe es für manche Menschen nur einen einzigen Ausweg aus dem seelischen Leid und vielleicht ist es auch einfach der letzte Versuch die elterliche Identität zurückzuerobern: Die Schattenseite der Depression offen auszuleben – die eigenen Kinder, sich selbst oder andere zu töten, so wie die „Frau in Schwarz“.
Dieser Aufsatz bezieht sich auf die aktuelle Verfilmung des Romans von Susan Hill „Die Frau in Schwarz“ mit Daniel Radcliffe.
Link zur Verfilmung aus dem Jahre 1989. „The woman in black“
Link zum Buch, auf dem beide Filme basieren: „Die Frau in Schwarz: Roman von Susan Hill“